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Ahanit Lucindra

Mystery-Thriller

Die Bestie in dir – Leseprobe

Prolog 

Daniel saß auf dem Bett, reglos wie eine Statue.

Doch in seinem Inneren kochte es.

 

Von draußen drang das Lachen seiner Freunde zu ihm. Gedämpft durch die Fensterscheiben, wie aus einer anderen Welt, einer Welt, zu der er keinen Zutritt hatte.

Geburtstagsparty. Zwei Häuser weiter. Alle waren dort.

Nur er nicht.

 

Hausarrest.

 

Wegen einer Mathearbeit. Vier Punkte.

»Einfach nicht gut genug«, hatte seine Mutter gesagt.

Jetzt saß er hier. Ohne Handy, ohne Fernseher. Eingesperrt mit seinen Schulbüchern.

Wie ein Tier.

 

Etwas in ihm zuckte.

 

Die Wut kroch durch seine Adern, heiß und ätzend. Sie war mehr als nur ein Gefühl. Es kam ihm so vor, als wäre da etwas in ihm, ein Wesen.

Ein Schatten unter seiner Haut.

Es war nicht das erste Mal, dass er das fühlte. Doch etwas war heute anders. So sehr er es versuchte, er bekam seine Wut nicht unter Kontrolle.

Jedes Lachen, jede Musiknote, die durch das Fenster drang, schien seiner Wut nur noch mehr Nahrung zu geben.

 

Seine Finger kribbelten. Krümmten sich, als wollten sie nicht mehr zu ihm gehören. Wurden länger, knochiger.

Die Nägel spitzten sich zu, erst nur ein Zucken, ein Flimmern in der Wahrnehmung, dann ein Brennen, ein Schmerz.

 

»Nein, nein …«, flüsterte er.

Er hob den Kopf.

Der Spiegel über der Kommode blickte zurück.

 

Und das, was er sah, war nicht sein Gesicht. Nicht mehr.

 

Die Augen glühten. Tiefrot, dämonisch.

Seine Wangenknochen wirkten schärfer, das Kinn härter.

Ein Fremder starrte ihm entgegen.

Ein Raubtier.

Ein Monster.

 

Er schloss kurz die Augen.

Als er sie wieder öffnete, war das Spiegelbild wieder das seine …

Nur er selbst. Blass, mit Schweiß auf der Stirn. Der Schmerz ließ nach.

Oder doch nicht?

 

Ein neues Musikstück hämmerte gegen das Fenster und verlangte Einlass. Brachte etwas in ihm zum Beben.

Die Wut wurde zu Zorn. Etwas wuchs in ihm. Wollte hinaus.

 

Daniel schrie. Kurz, rau, dumpf.

Er riss die Lampe vom Nachttisch.

 

Schweres Eisen. Schmiedearbeit. Stabil.

Doch in seinen Händen bog sie sich, als bestünde sie aus Wachs.

Ein hässliches Krachen. Die Plastikhülle des Stromkabels brach. Ein kleiner Blitz zuckte über seine Haut, ehe die Sicherung fiel. Die Glühbirne zerplatzte.

Das Zimmer versank im Halbdunkel.

 

Daniel keuchte.

 

Die Wut wich dem Zorn. Er fühlte sich wie in einem Ozean. Eine Welle folgte der nächsten. Immer höher, immer heftiger schlugen sie über ihm zusammen.

 

Er starrte auf seine Hände. Normal. Menschlich.

Aber das Eisen der Lampe war … verbogen, zerbrochen, zerfetzt.

Ein grollender Laut entsprang seiner Kehle – er hasste sich dafür. Doch das verstärkte nur die Zorneswelle.

Ein Kratzen durchbrach die Stille.

Seine Nägel wuchsen länger denn je. Er versuchte sich an der Wand abzustützen. Doch dann glitten sie durch die Tapete, rissen den Putz auf, brachen in den Stein.

 

Der Zorn loderte intensiver als je zuvor.

Er griff nach den Vorhängen, zerfetzte den Stoff. Bilder fielen von den Wänden. Federn stoben durch den Raum, als er sein Kopfkissen zerfetzte.

Das Zimmer verwandelte sich in ein Schlachtfeld, als Welle um Welle von Zorn durch ihn fuhr.

 

Dann ging die Tür auf.

 

»Daniel? Was zur Hölle geht hier …«

 

Emil Gruber, sein Onkel, stand im Rahmen.

 

Sein Blick huschte über die zerstörte Lampe, die Kratzspuren an den Wänden, den Staub, der wie Nebel in der Luft hing. Für einen Moment stockte ihm der Atem.

Daniel keuchte, die Hände noch immer gekrümmt, die Nägel wie Klauen.

 

Er sah seinen Onkel an, dann sah er sich um.

 

Für einen Moment loderte blanker Zorn in seinen Augen. Rot. Brennend. Doch dann brach es in ihm zusammen.

 

Er sackte auf die Knie.

Die Verwandlung wich, wie ein böser Traum im Morgengrauen. Nägel, Hände, wieder normal.

Nur sein Atem blieb rau, sein Körper bebte.

 

»Onkel …«, flüsterte er. »Bitte … hilf mir …«

 

Herr Gruber war blass geworden. Doch er machte einen Schritt nach vorn, legte Daniel vorsichtig eine Hand auf die Schulter.

»Ich hol jemanden, der dir helfen kann.«

 

Er griff zum Handy.

 

Wenige Minuten später.

 

Ein Freizeichen. Dann eine Stimme.

 

»Mia Wagner.«

 

Gruber atmete tief durch. »Hier ist Gruber. Der Nachbar der Novaks. Ich habe mit Frau Novak über das … den Geist gesprochen. Und … ich glaube, ich brauche Ihre Hilfe.«

 

Eine Pause.

Dann, fast flüsternd:

 

»Es geht um meinen Neffen. Er hat ein … Problem. Kein normales. Ich glaube … es ist etwas Dunkleres … sowas wie ein Werwolfproblem.«

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