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Ahanit Lucindra

Mystery-Thriller

Schattenspiel – Leseprobe

Prolog 

Die Stille der Nacht lag schwer über der Wohnsiedlung. Ein blasser Mond schob sich durch zerrissene Wolkenfetzen, warf fahles Licht auf die gleichförmigen Dächer der Reihenhäuser. Alles schien wie immer. Und doch war da etwas – ein Flimmern, kaum zu fassen, wie der Nachhall eines schlechten Traums.

 

Herr Gruber saß im Sessel am Fenster. Er war nicht mehr der Jüngste, aber seine Sinne waren wach wie eh und je. Sein Schlaf war eher schlecht und das Fernsehen bot um zwei Uhr nachts kaum mehr als Wiederholungen und billigen Zeitvertreib.

 

Also saß er da, mit einem halbkalten Kamillentee und blickte hinaus in den Garten.

In dieser Reihenhaussiedlung, die nach dem Krieg entstanden war, grenzten die Gärten an die Gärten der Parallelstraße. Der Nachbar gegenüber, Herr Novak hatte erst vor Kurzem die vertrockneten Büsche an der Grundstücksgrenze entfernt. So hatte er einen klaren Blick bis zu seinem Haus.

 

Die Novaks kamen aus Polen, redeten nicht viel.

Piotr, der Vater, schuftete im Lager. Ivona, die Mutter, im Einzelhandel. Kleine Leute. Freundlich. Ordentlich. Und doch gab es immer wieder Probleme.

 

Irgendwie schienen sie vom Pech verfolgt, seit sie vor einem Jahr eingezogen waren.

 

Krankheiten, wie im Kreislauf. Erst der Sohn, dann Piotr und immer wieder Ivona, blass, erschöpft, kaum noch ein Lächeln. Dazu der Elektrik-Spuk: Lichter, die flackerten. Geräte, die plötzlich ausgingen. Oder angingen. Selbst in der Nacht, wenn längst alles schlief, zuckte es wie irr durchs Haus.

 

Hinzu kam ein sehr mysteriöser Einbruch, ein Brand im Keller vor einem Monat. Ivona hatte auch von Nachrichten an den Wänden und Kratzspuren berichtet. Sie hatte ihn gefragt, ob ihm was aufgefallen war.

 

Noch ein Grund, weswegen sie die Hecken entfernt hatten. Das Haus war vorher von seiner Seite nicht zu sehen gewesen.

 

Gruber war nicht klar, was er davon halten sollte. Waren sie Opfer irgendwelcher Rassisten?

Die Nachbarn waren höflich, grüßten auf der Straße. Keine Sprüche, keine Schmierereien. Und doch… War es vielleicht möglich …?

 

Jetzt zuckte wieder das Licht. Erst nur im Wohnzimmer. Dann in der Küche. Flackerndes Licht, rhythmisch, als würde jemand mit einem Stroboskop spielen. Es war nicht das erste Mal – aber diesmal war es anders. Länger. Wütender.

 

»Kriechströme?«, hatte Piotr einmal gesagt. Ein Elektriker war da gewesen, teuer, aber ratlos.

Keine Fehler.

Kein Kurzschluss.

Alles in Ordnung, angeblich.

Und doch passierte es immer wieder. Gruber wusste, sie wollten neue Kabel ziehen. Doch wie, wenn man mittendrin wohnte, kein Geld und ein Kind hatte?

 

Er nahm einen Schluck Tee, rieb sich übers Gesicht. Und dann bewegte sich etwas.

 

Ein Schatten, auf der Terrasse.

Er sah nicht aus wie ein Mensch.

Irgendwie war er unscharf.

Nicht wirklich greifbar. Nur ein dunkler Riss in der Luft, dort, wo keiner sein sollte.

 

Gruber hielt den Atem an. Was war das?

Er kniff die Augen zusammen in der Hoffnung, ein schärferes Bild zu bekommen.

Dieser Umriss waberte wie ein Schleier im Wind, den man auf der Wäscheleine vergessen hatte, nur dass er einen menschlichen Umriss ergab.

 

Dann geschah es.

 

Ein Glimmen auf dem Terrassentisch. Als hätte jemand einen Schwelbrand gezündet. Doch wie? Es war kein Feuerzeug oder Streichholz, nur der Riss aus Dunkelheit und das Glimmen.

 

Ein winziger, oranger Punkt, der schnell größer wurde, sich mit erschreckender Geschwindigkeit ausbreitete.

Stoff, der züngelte. Rauch, der aufstieg. Dann: Flammen.

 

Gruber sprang auf, riss das Fenster auf. Der Gestank von verbranntem Kunststoff und Stoff fraß sich in seine Nase.

 

»Feuer!«, krächzte er, doch es klang schwach, viel zu schwach, als dass ihn irgendwer hören konnte.

Panik stieg in ihm auf. Er stolperte durchs Wohnzimmer, riss die Terrassentür auf, rannte barfuß durch den Garten. Eine kleine Tür im Zaun, die schon weit länger da war als die Novaks. Gut, dass niemand sie weggemacht hatte.

 

Er stürmte durch deren Garten und klopfte wie wild an die Fenster und Türen.

 

Seine Faust zitterte.

Er rannte um das Haus herum und läutete Sturm.

Die Klingel gellte schrill in die Nacht, ein Laut, der selbst den Schlaf der Toten hätte stören können.

 

Die Tür ging auf. Piotr stand da, verwirrt, müde.

 

»Herr Gruber? Was… zum…«

»Feuer!«, japste Gruber. »Ihre Terrasse! Es brennt!«

Piotrs Augen weiteten sich. Dann rannte er los, Gruber hinterher.

Der Gartenschlauch lag unter einem Eimer. Schnell drehte er den Hahn auf.

Das Fauchen des Wassers erinnerte Gruber an ein wütendes Biest.

 

Das Feuer war hartnäckig. Der Tisch zerfiel unter der Hitze. Die Polster waren nur noch schwarze Schatten.

Aber der Kampf gegen die Flammen war erfolgreich, und sie verhinderten Schlimmeres.

 

Markise und Haus waren unversehrt.

 

Sie keuchten. Der Rauch verzog sich langsam. Piotrs Gesicht war rußverschmiert, seine Stirn glänzte vom Schweiß. Doch was Gruber am meisten auffiel, war nicht die Erschöpfung, sondern die Angst. Eine tiefe, kalte Angst, die aus seinen Augen sprach.

 

»Wer war das?«, flüsterte Piotr. »Wie konnte das passieren?«

 

Gruber schwieg einen Moment. Dann sagte er ernst:

»Ich weiß es nicht. Ich habe nur einen Schatten gesehen, aber ich konnte nichts weiter erkennen. Aber reden wir mal Klartext.«

 

Er sah Piotr in die Augen. »Das sind keine Zufälle mehr. Ständig habt ihr irgendwelche Infekte. Dann das mit der Elektrik. Das Feuer im Keller und jetzt das. Und die … anderen Dinge, die Ivona erzählt hat.Das kann kein Zufall sein. Sie müssen sich Hilfe holen. Und zwar bald.«

 

Piotr nickte langsam. »Aber wer würde so was tun?«

Gruber zuckte mit den Schultern. »Niemand von hier, hoffe ich. Aber… bei dem, was gerade so in den Nachrichten läuft…«

 

»Sie meinen … Rassisten? Jemand, der uns vertreiben will?«

 

»Möglich.« Gruber wich seinem Blick aus. »Sie sollten das zumindest in Betracht ziehen.«

 

Doch in seinem Innern war er da nicht so sicher.

 

Das, was er gesehen hatte. Oder zu sehen geglaubt hatte. Schatten, die um das Haus strichen. Das war nicht normal, nicht menschlich.

 

Gruber war kein gläubiger Mensch, aber irgendetwas war hier, das über sein Begreifen hinausging.

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